Schritt 3. Arbeiten Sie sich zu der Botschaft und dem Narrativ vor, das Sie erstellen möchten
Wenn wir einen Hasskommentar sehen, ist die erste Reaktion oft, dass wir zeigen wollen, dass er nicht wahr ist, dass er eine Verallgemeinerung oder Manipulation ist. Es besteht die Gefahr, dass wir auf Hass mit Hass antworten, selbst, wenn wir die besten Absichten haben. Daher sollten Sie in Ihrer Antwort den Hasskommentar nicht wiederholen und verstärken. Was Sie auch tun können, ist, den Diskurs zu ändern, den Raum mit einem anderen Narrativ und anderen Kommentaren zu füllen, um die Denkweise zu ändern. In diesem Stadium können Sie überlegen, ob Sie dem Hasskommentar etwas entgegensetzen oder eine Alternative anbieten möchten.
Gegenrede
Dekonstruieren, Diskreditieren und Entmystifizieren gewalttätiger extremistischer Kommentare
Gegenrede ist eine kurze und direkte Reaktion auf Hasskommentare. Sie wird eingesetzt, um gewalttätige extremistische Botschaften direkt zu dekonstruieren, zu diskreditieren und zu entmystifizieren. Sie wird oft als Instrument eingesetzt, um konkrete Hassbekundungen zu blockieren oder anzuprangern. Manchmal konfrontiert sie ein anderes Narrativ auf ziemlich direkte Art und Weise, indem sie darauf verweist und Gegenargumente und Fakten anführt.
Die Gegenrede zielt darauf ab, diejenigen zu erreichen, die mit extremistischen Ansichten sympathisieren könnten oder dies bereits tun, um ihre weitere Beteiligung zu verhindern sowie diejenigen, die bereits extremistische Ansichten vertreten, dabei zu unterstützen, ihre Ansichten und ihr Verhalten zu ändern. Die Bedrohung durch populistische, nationalistische, rassistische und homophobe Gruppen erfordert eine direkte Antwort, eine Strategie zur Bekämpfung der Ursachen von Hassrede, wie negative Stereotypen und Ungleichheit, sowie Vorschläge.
Alternatives Narrativ
Eine alternative Denkweise, Besetzung des öffentlichen Raums, Beeinflussung politischer Debatten
Ein alternatives Narrativ konzentriert sich nicht so sehr auf die Reaktion, auf einzelne Ereignisse, sondern arbeitet vielmehr daran, eine alternative Denkweise zu entwickeln, um den Wandel in der Gesellschaft zu unterstützen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, den öffentlichen Raum zu besetzen, indem eine alternative (kohärente und strukturierte) Position im öffentlichen Diskurs zu Gehör gebracht wird. Das alternative Narrativ stärkt positive, inklusive und konstruktive Ideen und zielt darauf ab, die gesamte Bevölkerung zu erreichen, einschließlich der Verursacher von Hassreden, die sich vielleicht mit einem völlig neuen Narrativ vertraut machen können.
Zum alternativen Narrativ zählen Aktionen, die darauf abzielen, das Narrativ der Hassrede zu untergraben, indem sie sich darauf konzentrieren, „wofür“ wir sind und nicht, „wogegen“ wir sind. Das alternative Narrativ stellt den Extremismus vielleicht nicht direkt in Frage oder bezieht sich auf ihn, sondern versucht, politische Debatten zu beeinflussen, indem alternative Vorschläge und Betrachtungsweisen für soziale Fragen oder Probleme vorgeschlagen werden und so der Rahmen der Diskussion verändert wird.
Eine solide Grundlage für den Aufbau eines alternativen Narrativs zum Hass sind Menschenrechte und demokratische Standards, Grundsätze und Werte. Wir sprechen daher oft von menschenrechtsbasierter Gegenrede und/oder alternativem Narrativ.
Beispiel für ein alternatives Narrativ, das verbindet
Dieser Werbespot des dänischen öffentlich-rechtlichen Senders TV2 hat eine kurze, verbindende Botschaft: Wir alle lieben Dänemark. Das bedeutet auch, dass wir alle TV2 lieben, das allen dient. Das Video nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise zu einer Alternative zu „wir“ gegen „sie“. Es stellt die Stereotypisierung anderer in Frage und lädt uns ein, die vielen verschiedenen persönlichen Erfahrungen zu sehen, die einen Menschen prägen und die weitgehend für alle gelten.
Das Video beginnt damit, dass Menschen in Gruppen eingeteilt werden, vermeidet aber die Verwendung bekannter negativer Stereotypen über die andere Gruppe. Stattdessen beschreibt die Off-Stimme ein Gefühl, das der Betrachter gegenüber einer anderen Gruppe haben könnte und legt ihm die Verantwortung auf, seine eigenen Gefühle zu hinterfragen. So heißt es z. B. „diejenigen, denen wir vertrauen und diejenigen, die wir zu meiden versuchen", anstatt Begriffe zu verwenden wie „Krankenschwester" und „Skinhead", die mit vielen positiven und negativen Konnotationen belegt sind. Dann führt der Erzähler neue Kategorien von Menschen ein, indem er Erfahrungen und Gefühle vorstellt, z. B. diejenigen, die Klassenclown waren oder Stiefeltern sind; diejenigen, die sich einsam fühlen und diejenigen, die verliebt sind. Das Video stellt die Stereotype des Zuschauers in Frage, man sieht zum Beispiel, dass ein Skinhead sich einsam fühlen kann und in der Schule gemobbt wurde usw. Wenn die Beispiele von Erfahrungen und Gefühlen persönlicher werden, sieht man, wie die Gruppe den Mut der anderen anerkennt und die Vielfalt der Eigenschaften einer Person deutlich wird. Eine Person kann vieles sein, ein Stiefelternteil, ein ehemaliger Mobber, an ein Leben nach dem Tod glauben usw. Das Video schließt mit der Frage, was uns zusammenbringt. Während der Werbespot die Liebe zu Dänemark vorschlägt, wird hinzugefügt: „und zu allem, was wir teilen". Das wiederum lädt den Zuschauer zum Nachdenken ein: Was teilen die Menschen um mich herum mit mir, das uns zusammenbringt? (eindeutig eine Alternative zu 'wir' gegen 'sie')
Beispiel für Gegenrede in Aktion
Die Serie „Bundestrollamt für gegen digitalen Hass" (Staffel eins und zwei), die von der deutschen No-Hate-Speech-Bewegung entwickelt wurde, ist ein gutes Beispiel für eine Kampagne der Gegenrede.
In jeder Folge liest ein „Gast" Beispiele für Hasskommentare vor, die er/sie persönlich erhalten hat. Das „Bundestrollamt" kommentiert die Beispiele, entlarvt Ungenauigkeiten und weist auf die Unlogik der Argumente der Hater hin. Es tut dies mit Sarkasmus, was durch die Art und Weise, wie eine deutsche Beamtin stereotypisiert wird und durch die Schauspielkunst sehr deutlich wird.
In diesem Sketch macht sich der „Gast" über das erste Beispiel für Hassreden lustig, indem er sagt: „Wirklich?“. Durch dieses einfache Wort impliziert er: „Natürlich kann ich sehen, wer hier der Dumme ist". Das „Bundestrollamt" spricht das zweite Beispiel von Hassrede an, indem es betont, dass Deutschland ein „Eldorado für Bier" und „Fußballmeister", aber kein terroristischer Staat ist. Es wird angedeutet, dass es viele Gründe gibt, stolz auf Deutschland zu sein, auch für deutsche Menschen mit Kopftuch. In Wirklichkeit ist es der Hater, der andere mit Hassreden terrorisiert und daher nicht in die Tradition der „deutschen parlamentarischen Demokratie" passt. Dies ist ein Beispiel dafür, wie das Hassargument umgekehrt werden und das Verhalten der Person, die Hasskommentare veröffentlicht, in Frage gestellt werden kann.
Erläuterung
An dieser Stelle müssen Sie einmal durchatmen, bis zehn zählen und entscheiden, was Ihre Botschaft sein soll. Um Ihnen den Einstieg zu erleichtern, können Sie als ersten Versuch alle ersten Reaktionen aufschreiben. Nehmen Sie sich dann einen Moment Zeit, um sie noch einmal anzuschauen und stellen Sie sich die Reflexionsfragen. Die Diskussion über diese Fragen wird Sie zum Kerninhalt Ihrer Botschaft führen, um dem Hass entgegen zu treten.
Durchatmen, bis zehn zählen
und entscheiden, was
Ihre Botschaft sein wird
Wenn Sie ein alternatives Narrativ entwerfen wollen, ist es wichtig, durch Ihre Botschaft ein breites Spektrum von Menschen zu zeigen, die unterstützt werden müssen. Es ist wichtig zu zeigen, dass für viele Menschen/Gruppen ebenfalls dringend ein alternatives und neues Narrativ nötig ist. Es ist wichtig, das alternative Narrativ so zu formulieren, dass es inklusiver ist und so proaktiver Probleme löst. Es ist wichtig, eine andere Geschichte zu finden, die die alte und diskriminierende Geschichte ersetzen kann. Die alternative Botschaft könnte darauf abzielen, alle davor zu schützen, zur Zielscheibe zu werden. Sie kann auch zur Solidarität mit den Menschen aufrufen, die normalerweise zur Zielscheibe werden und versuchen, Verbündete zu finden. Wenn Sie über Gegenrede oder ihr alternatives Narrativ nachdenken, ist es immer eine gute Idee, mit Menschen zu sprechen, die Hasskommentare erlebt haben und Ihnen sagen können, was sie sich von einem menschenrechtsbasierten Narrativ wünschen. Diese Menschen können Ihnen bei der Wahl des Schreibformats, der richtigen Botschaft und der richtigen Formulierung helfen. Es ist auch wichtig, auf unsere Sprache zu achten. Es gibt Begriffe, Ausdrücke und Wörter, die wir bei der Kommunikation vermeiden oder mit denen wir sehr vorsichtig sein sollten. Es lohnt sich, darauf zu achten, keine stereotypen und aggressiven Begriffe zu verwenden (z. B. Roma und nicht Zigeuner, Vorsicht bei der Bezeichnung von Flüchtlingsströmen als Krise, Vermeidung von „wir gegen sie"-Phrasen usw.). Es ist auch wichtig, auf die Bilder/Töne/Videos und die Musik zu achten, die in Ihren Botschaften verwendet werden. Vergewissern Sie sich, dass die Bilder auch einem menschenrechtsbasierten Narrativ folgen und nicht im Widerspruch zu Ihrem Anliegen stehen.
Fragen zur Reflektion
Was wollen Sie tun/erreichen?
- Dem Hass entgegentreten oder den Hater stoppen, ihn zum Schweigen bringen, seine Ansichten in Frage stellen, aufzeigen, dass sie irrational sind, Menschen schützen, zur Verantwortung ziehen, die Folgen des Hasses aufzeigen usw.
- Alternativen aufzeigen: Ein anderes Bild zeigen, zu Inklusion und Solidarität in schwierigen Zeiten aufrufen, an die Grundsätze der Menschenrechte und der Menschenwürde appellieren, kritisches Denken in komplexen Situationen fördern, ein Stereotyp durch ein positives Bild des "Anderen" ersetzen.
Wer ist Ihr Zielpublikum?
- Antworten Sie einem Hater, oder möchten Sie sich an jemand anderen wenden (Gleichaltrige, Freunde, die Öffentlichkeit, Opfer)?
- Wie werden sie Ihre Botschaft verstehen?
Wie wollen Sie denjenigen helfen, die von Hasskommentaren betroffen sind bzw. waren?
Was wissen Sie über die Gruppe, gegen die der Hass gerichtet ist, und wie wollen Sie sie in Ihrer Botschaft darstellen? Welche Argumente, Daten, Untersuchungen und Fakten gibt es bereits, die Ihnen helfen, Verallgemeinerungen zu widerlegen und eine Botschaft zu entwickeln?
Welchen Ton und welche Sprache müssen Sie verwenden, um das zu erreichen?
Was wollen Sie, dass die Leser Ihrer Nachricht tun?
Mehr
Die Broschüre "WE CAN! Maßnahmen gegen Hassreden durch Gegenrede und ein alternatives Narrativ" erläutert:
- was ein Narrativ ist, welche Bestandteile es hat und wie es als Grundlage für eine überzeugende Botschaft oder ein Bild dient: Kapitel 4 Narrativ, S. 59-74
- Was Gegenrede und ein alternatives Narrativ ist und was es zu einem menschenrechtsbasierten Narrativ macht: Kapitel 5, S. 77- 86
Compass, ein Handbuch zur Menschenrechtserziehung junger Menschen, führt in Kapitel 4 ein, was die Grundsätze und Werte der Menschenrechte bedeuten.
Bookmarks, ein Handbuch zur Bekämpfung von Hassrede durch Menschenrechtserziehung, enthält eine Zusammenfassung der Menschenrechtsstandards, insbesondere in Bezug auf Hassrede, das Internet und die Meinungsfreiheit. Siehe Bookmarks, Kapitel 5.2 - 5.3, S. 155-165.
Sie können sich auch für andere Maßnahmen entscheiden, wie z.B. Bildung usw. Auch wenn der Einsatz von menschenrechtsbasierten Narrativen bei dieser Art von Maßnahmen gleichermaßen relevant ist, lohnt es sich zu prüfen, was die beste Reaktion ist und was in Ihrer Situation am besten funktioniert.